Der Chorgesang hat in der Bevölkerung des Westerwaldes einen hohen Stellenwert. Die Chöre sind bei vielen Anlässen präsent, sie singen ebenso bei Feiern wie bei Begräbnissen. Und auch vom Leistungsstand her kann sich der Chorgesang sehen lassen, was die Anzahl der Meisterchöre und das vielseitige Konzertangebot betrifft.
Aber seit Jahren ist ein Wandel zu beobachten: Die Zahl der Chöre sinkt. Kann diese Tendenz gestoppt werden, welche Zukunft hat der heimische Gesang? Diesen Fragen stellten sich die Spitzen der Kreis-Chorverbände Unterwesterwald und Oberwesterwald bei einem Gespräch mit der WZ .
„In vielen Chören muss ein Umdenken stattfinden. Man darf nicht an dem Istzustand festhalten, nur weil es 25 Jahre so funktionierte“, sagt Raimund Schäfer (Pressereferent Kreis-Chorverband Uww.). Das betrifft sowohl die Führungsstruktur, -kultur und Zusammensetzung, als auch das Repertoire und die Programmgestaltung von Konzerten.
Im Gespräch über die Zukunft des Chorgesangs im Westerwald (von links): Dieter Orthey, Lieselene Schlaug-Pfeiffer, Alfred Labonte, Mario Siry und Raimund Schäfer.
Auch wenn zahlenmäßig die Männerchöre (noch) dominieren: Der Trend geht hin zu gemischten Chören, damit verändert sich auch das Programm. So haben im Uww. in den vergangenen zehn Jahren einige Männerchöre einen Schnitt gemacht und sich in gemischte Ensembles umgewandelt – beispielsweise MGV Thalia Ebernhahn, MGV Arion Nomborn oder auch MGV Cäcilia Großholbach.
Aber: Diese Umwandlung ist kein Allheilmittel, betont Mario Siry (Kreis-Chorleiter Uww.). „Wenn ein Chor veraltet, ist etwas an der Struktur falsch, gibt es ein Problem in der Arbeit des Vorstandes. Wie er geführt wird, wie er sich präsentiert und wie er die Jugend mit einbindet. Ändert sich das nicht, taucht das gleiche Problem beim nun gemischten Chor nach zehn Jahren wieder auf.“ Es gelte, die Tradition zu überdenken. „Wir brauchen ein neues Denken in den Vereinsstrukturen“, ist sich Siry sicher. Radikal müsse darüber nachgedacht werden, ob alle Aufgaben, die ein Chor derzeit traditionell wahrnimmt, noch zeitgemäß sind. „Das Singen bei Goldhochzeiten, so schön, wie das ist: Ist das der richtige Weg heute?“, verdeutlicht er.
Diesen Ansatz bestätigt Lieselene Schlaug-Pfeiffer (Kreischorleiterin Oww.) aus eigener Erfahrung: Als sich 2006 die Mixed Allegro Singers (Müschenbach) gründeten, erklärten die Mitglieder: „Wir wollen kein Ständchenchor sein.“ Der gemischte Chor hat heute 38 Sängerinnen und Sänger, er ist auch kein „Dorfchor“ mehr, sondern hat überregionale Wurzeln.
Viele Chöre hätten keine Vereinsphilosophie, beobachtet Schäfer, sondern würden einfach in den Tag hinein leben. Wenn zu feststehenden Daten immer das Gleiche unter demselben Motto passiere („Herbstkonzert“ mit dem gastgebenden und vier Gastchören), werde es langweilig. Ein Chor brauche Anreizpunkte, er müsse sich auch langfristige Ziele setzen und wissen, wo er in zehn, fünfzehn Jahren stehen wolle. Kurz: Ein Chor müsse heute wie ein kleines Unternehmen geführt werden. Lieber spricht Dieter Orthey (Vorsitzender Kreis-Chorverband Oww.) dabei von einer Chorfamilie in einem Verein, der beispielsweise Kinder-, Männer- und gemischten Chor beheimatet. Klar ist, das Nachwuchsproblem löst sich nicht von allein. „Wenn ich neue Sänger haben will, muss ich mir sie selber heranziehen“, betont Siry. Er kritisiert, dass die Kinder heute in der Schule das Singen nicht mehr beigebracht bekämen, die gesangliche Ausbildung fehle. Deshalb sei es auch zu spät, erst die 16- oder 17-Jährigen werben zu wollen. Auch bei Kinderchören müsse heute überörtlich gedacht werden. Engagierte Sänger seien bereit, dorthin zu gehen, wo ein Chor gut ist, also auch 15 Kilometer zur Probe zu fahren.
„Das größte Problem ist, die Leute in den Chor reinzubringen. Wenn sie dann drin sind, geht oft die Post ab“, beobachtet Alfred Labonte (Kreis-Chorverband Uww.). Eine gute Möglichkeit, an neue Sänger zu kommen, seien Projektchöre, die in der Regel gemischte Chöre sind. Sie kommen dem Wunsch entgegen, selbst bestimmen zu können, für einen bestimmten Zweck eine bestimmte Zeit lang sich zu engagieren und dann zu entscheiden, ob man weitermachen möchte. „Die wollen die alte Vereinsmeierei nicht“, verdeutlicht Orthey. Davon könnten die alten Chöre lernen, so Siry. Viele Projektchöre bestehen weiter, nachdem das eigentliche Ziel (zum Beispiel der Auftritt zu einem besonderen Anlass) erfüllt ist.
Repertoire ist im Wandel begriffen - Umdenken Deutscher Pop und Rock sind heute beim Publikum gefragt
Auch hinsichtlich des Konzertprogramms ist ein Umdenken zu beobachten. War es vor 10 bis 20 Jahren noch ein Muss, viele Gastchöre zu einem Gemeinschaftskonzert einzuladen, so sind es heute zumeist weniger Gäste, die sich dann in einem Block besser vorstellen könnten. Dazu werden „gute Leute“ (Gastsolisten) eingeladen, und so den Zuhörern ein interessanteres Programm geboten.
„Auf dem Konzertsektor ist somit eine große, gewachsene Bandbreite zu beobachten“, sagt Schäfer. Das reicht bis hin zu Musicals, die beispielsweise von Kinderchören präsentiert werden.
Die Programmgestaltung entwickelt sich ganz klar in Richtung Popularbereich. Stark am Kommen sind der Deutsche Pop und Rock. „Die Leute wollen moderne Chormusik hören, aber ein guter Chor hat die ganze Palette drauf, auch Traditionelles“, sagt Schäfer. Wenn ein heterogenes Publikum angesprochen werden soll, brauche es ein gemischtes Programm: Denn nur mit englischen Titeln werde beispielsweise das etablierte Publikum nicht erreicht. Jüngere könnten angesprochen werden, indem beispielsweise Jazzchöre dazu eingeladen würden. Oder Spezielles für junge Zuhörer geboten wird.
Immer mehr Chöre stellen ihre Konzerte unter ein Motto, damit der Besucher weiß, was ihn erwartet, und damit die Veranstaltung gut beworben wird. „Werbung ist wichtig, muss Neugier wecken“, betont Orthey. Deshalb will der Chorverband dazu spezielle Workshops anbieten.
Struktur und Aktion
Chorverband Oww In 57 Chören (Stand 2013) singen 1285 Sänger und Sängerinnen. Davon sind 34 Männerchöre, 16 gemischte und 7 Frauenchöre. Hinzu kommen vier Kinderchöre, in denen 110 Mädchen und Jungen singen. „Die Tendenz ist abnehmend“, sagt Kreischorleiterin Lieselene Schlaug-Pfeiffer.
Chorverband Uww In 81 Chören singen 2302 Sänger und Sängerinnen. Es gibt 42 Männerchöre, 32 gemischte und 7 Frauenchöre. Hinzu kommen 14 Kinderchöre mit 460 Mädchen und Jungen. „Bei uns ist der Bereich Männerchor ein großes Problem. Er fehlt an Nachwuchs“, betont Pressesprecher Raimund Schäfer. „Durch die Altersstruktur steht die Ampel auf Rot. Ändert sich nichts, ist die Existenz in 15 Jahren gefährdet.“
Die Fusion
Die beiden Kreis-Chorverbände bereiten ihre Fusion vor, die im kommenden Jahr vollzogen werden soll. Damit wird der Sängerkreis dann dem politischen Kreis angeglichen. Ziel ist, die Kräfte besser zu bündeln.
Singen hält gesund
Der Chorverband Uww hat im März eine große Werbeaktion und Öffentlichkeitsinitiative gestartet. Ziel ist, die gesundheitlichen Aspekte des Singens in den Vordergrund zu stellen. So macht Singen nicht nur Spaß und schafft Gemeinschaft, sondern ist beispielsweise ein guter Ausgleich bei Stress und stärkt die Atmungsorgane. Unter dem Motto „Chorsingen ist gesund - Sing mit, bleib fit“ wurde eine Werbe- und Plakataktion initiiert, bei der unter Einbindung aller Vereine in allen Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und sonstigen medizinischen Einrichtungen Plakate platziert werden, um für den gesundheitlichen Aspekt des Chorsingens zu werben und das Singen in einem heimischen Chor in den Fokus zu stellen.
Westerwälder Zeitung vom Samstag, 14. Juni 2014 - Reporterin Angela Baumeier